
In unserer Dokumentation werden prähistorische Stätten vorgestellt, deren Besuch immer auch eine anschauliche Erkenntnis bereit hält. Aufgrund ihrer Bedeutung für die Erforschung der Menschheitsgeschichte sind jedoch zwei andersartige Besuchspunkte mit aufgenommen worden: Salzgitter-Lebenstedt, Jagdstation der Neandertaler, und Schöningen mit den reichen Ergebnissen zu Leben und Umwelt des Urmenschen (Homo erectus). Hier wie dort sind die entscheidenden Zeugnisse nicht mehr vor Ort zu besichtigen; in Schöningen dauern die Ausgrabungen allerdings noch an. Was dort zutage trat, läßt sich ohne Übertreibung als Weltsensation bezeichnen. Auf eine Kurzformel gebracht: Von hier stammen die ältesten Jagdwaffen der Menschheit in Gestalt einer ganzen Garnitur von Speeren und der sichere Nachweis der Beherrschung des Feuers. Damit erscheint der zivilisatorische Stand von Homo erectus in einem ganz neuen Licht.
Dem Außenstehenden muss zunächst die Gesamtsituation beschrieben werden. Zwischen Helmstedt und Schöningen werden seit dem 19. Jahrhundert Braunkohlen im Tagebau gewonnen; die Landschaft wird heute durch quadratkilometergroße und bis über 100 Meter tiefe Gruben geprägt. Die Kohleflöze stehen zwar im Randbereich der geologischen Mulden knapp unter der Erdoberfläche an, ziehen von dort aber in die Tiefe. Gewaltige Abraumbewegungen sind nötig, um den Rohstoff zu gewinnen. - Was unter dem einen Gesichtspunkt als Reliefzerstörung von größtem Ausmaß erscheint, bietet der Archäologie die überaus seltene Gelegenheit, Schichten zu beobachten, die 10, 15 oder noch mehr Meter unter der eigentlichen Oberfläche liegen. Von besonderem Interesse waren dabei Serien von Torf und Feuchterde, die auf die Verlandung von flachen Seebecken zurückgehen.
Ein Abraumbagger, dessen Schaufelrad allein einen Durchmesser von etwa 11 Metern besitzt, frisst sich seit über zwei Jahrzehnten durch die eiszeitlichen Deckschichten bei Schöningen. Das Grabungsteam um Dr. Thieme hatte gelegentlich Großsäugerknochen entdecken können, vereinzelt auch Steinwerkzeuge. Die Arbeitsbedingungen an den Böschungskanten waren oft äußerst schwierig. 1992 gelang der bahnbrechende Nachweis eines Jagdlagers des Urmenschen. Bei verlagerter Abbaufront konnte im Oktober 1994 das erste vollständig erhaltene Holzgerät inmitten von Tierknochen und Feuerstein-Werkzeugen geborgen werden, im Spätsommer 1995 wurde der erste hölzerne Jagdspeer freigelegt. Durch das Entgegenkommen der Bergwerksgesellschaft BKB ist das Grabungsgelände bis heute bewahrt geblieben.
Der Fundhorizont mit den Speeren wird auf rund 400.000 Jahre vor heute datiert, während sich an anderer Stelle kurzfristig eine Untersuchungsmöglichkeit von noch weit älteren Schichten ergab, die ebenfalls Spuren des Urmenschen zeigten.
Fundstellen der frühen Altsteinzeit sind an sich schon sehr selten. In den Schöninger Schichten haben sich zudem auch die organischen Materialien, vor allem Holz und weitere Pflanzenreste, in einer einzigartigen Weise erhalten. Man muss sich dabei vergegenwärtigen, dass seit der Ablagerung der Fundschichten zwei Eiszeiten über Norddeutschland hinweggegangen sind (so nach dem älteren Kenntnisstand). Und darin liegt ein vielleicht ebenso so großer Wert: auch die Klima- und Vegetationsentwicklung der letzten 500.000 Jahre lässt sich jetzt klarer erkennen. Künftig werden wir mit drei zusätzlichen Kaltzeit-Warmzeit-Zyklen rechnen müssen.
Die zuständigen Archäologen werden stets betonen, dass die altsteinzeitlichen Fundschichten nur einen kleinen Ausschnitt der Gesamtergebnisse im Umfeld der Braunkohlengruben darstellen. Mit Unterstützung der BKB konnte eine Untersuchung von mehreren hunderttausend Quadratmetern im Vorfeld der Abbaukante betrieben werden. Allein die Ergebnisse aus diesen oberflächennahen Schichten reichen aus, um ein kulturgeschichtliches Museum zu füllen. Annähernd sämtliche Kulturstufen seit der letzten Eiszeit sind in plastischer Weise sichtbar geworden.
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