
Das Thema der geplanten Dokumentation - gedacht als ein Beitrag zur Landeskunde und Regionalgeschichte - ließ sich zunächst recht einfach angeben: Landschaftsgebundene Zeugnisse der Archäologie. In einer Auswahl sollten möglichst signifikante Ziele vorgestellt werden. Ein solches Vorhaben darf allerdings nicht mit einer umfassenden Darstellung zur Vor- und Frühgeschichte verwechselt werden. Im Gelände selbst können wir nur solche Zeugen und Zeugnisse besichtigen, die an sich eine gewisse Dauerhaftigkeit besitzen ( Anmerkung 1 ).
Als Zielpunkte kommen zunächst prähistorische Wallanlagen, Hügelgräber in unterschiedlichen Formen, die imposanten Megalithgräber sowie aufgerichtete Einzelsteine, sogenannte Menhire, in Frage. Im Laufe der Recherche verschoben sich jedoch die Gewichte hin zu jenen Orten, die im weiteren Sinne als "Kultstätten" zu bezeichnen sind. Dies können zum Beispiel Quellen und Moore, besondere Steine oder außergewöhnliche Felsformationen sein, die durch entsprechende Zeichen oder geborgene Funde eine besondere Rolle in der (schriftlosen) Vergangenheit zu erkennen geben.
Wo liegen nun die verbindenden Linien zwischen den hier vorgestellten Objekten? - Ich möchte an dieser Stelle zwei Gesichtspunkte hervorheben. Zum einen die Frage nach der Landschaft selbst, nach ihrer Gestalt und ihren jeweiligen Eigenheiten. Zeugnisse in ihrer eigenen Umgebung wahrzunehmen (und nicht im Museum) schult unseren Blick für die jeweilige Charakteristik des ganz konkreten Ortes. Wir entdecken plötzlich, mit welchem Geschick besonders günstige Geländepunkte von unseren Vorfahren ausgewählt worden sind. Wir nehmen die Eigenheiten dieser Stätten plötzlich in intensiver Weise wahr. Landschaft neu und anders zu sehen soll deswegen auch als eines der Hauptanliegen dieser Dokumentation herausgestellt werden. Im übrigen dürfte damit zugleich auch unsere eigene Zeit auf dem Prüfstand stehen. Denn neben den besonders schönen Orten - von denen eine ganze Reihe vorgestellt werden - finden sich auch solche, die in den letzten einhundert Jahren eine extreme Überformung erlebt besser: erlitten haben. Die Geschichte der Landschaftsveränderung an sich reicht jedoch in tiefe Vergangenheit zurück.
Zum anderen geht es mir um die rätselhaften Aspekte, die sich mit den Orten und den Zeugnissen verbinden. Ganz am Anfang steht ja immer, bei jedem einzelnen, eine gewisse Verwunderung: Was kann dies gewesen sein? Wie ist es entstanden? Und: Welche Menschen haben das ins Werk gesetzt? Was hat es für sie bedeutet? - Sichtbare Zeugen im Gelände, an einem konkreten Ort, fordern solche Fragen geradezu heraus. Mir scheint dieser Aspekt einer Fragehaltung, den man auch als Spaß am Rätseln und Enträtseln oder als Freude am Entdecken und Erkennen bezeichnen kann, bisher zu wenig beachtet. Im Grund sind dies auch die Ausgangspunkte der zuständigen Fachwissenschaft - ob man sie nun als Archäologie oder als Vor- und Frühgeschichte bezeichnet. Da sich diese aber als "exakte" Wissenschaft verstehen will und verstehen muss, wendet man sich dort lieber den gewonnenen Kenntnissen und ihrer Darstellung zu. Es ist in diesem Sinne verständlich, dass FachwissenschaftlerInnen um Orte, Objekte und Verhältnisse, über die sich nur wenig oder gar nichts sicher aussagen lässt, gerne einen großen Bogen schlagen. Im besonderen Maße trifft dies wohl auf mutmaßliche Kultstätten zu.
Bei näherer Betrachtung jedoch verschwimmen die scheinbar klaren Grenzen. Mittlerweile ist deutlich geworden, dass beispielsweise die Großsteingräber in weit stärkerem Maße in kultische Handlungen einbezogen gewesen sein müssen, als bisher angenommen. Der Irrtum ist vorprogrammiert, wenn wir unsere eigenen kulturellen Haltungen, unsere eigenen Vorstellungen von Grab und Friedhof in die ferne Vergangenheit verlängern. Daneben erweist sich die scheinbar sichere Kenntnis, die die Fachliteratur oft suggeriert, doch meist als höchst fragmentarisch. Man braucht nur genau zu lesen. Als Gegenprogramm wäre vielleicht einmal ein Buch zu schreiben, über das, was man über die Vorgeschichte nicht weiß.
Bleibt als Fazit: Wir dürfen bei den vorgestellten Zeugnissen staunen, wir dürfen uns wundern; jeder kann sich in seiner Weise auf den Weg eines entdeckenden Nach-Forschens begeben ( Anmerkung 2 ). Und gerade im Sachbereich der archäologischen Objekte, die ja ganz überwiegend aus einer schriftlosen Zeit stammen, stehen zwischen den Eckpfeilern der gesicherten Kenntnis enorme Freiräume für die eigene Fantasie zur Verfügung. Man sollte beide Ebenen aber nicht miteinander verwechseln.
Robert Slawski, Dezember 2004
Anmerkung 1: "Landschaftsgebundene Zeugnisse" dient hier zunächst einmal als kürzest mögliche Formulierung. Es handelt sich dabei entweder um originale Zeugnisse oder um (partielle) Rekonstruktionen, die den Befund bzw. seine gedankliche Ergänzung am alten Ort oder in dessen Nähe nachbilden. Daneben sind Stätten mit besonderen landschaftlichen Merkmalen aufgenommen (z.B. Quellen, Felsen), deren prähistorische Bedeutung durch Funde wahrscheinlich gemacht wird. Entscheidend bleibt aber stets das konkret am Ort sichtbare Objekt. Mit Rücksicht auf die besondere historische Bedeutung wurden jedoch zwei Zielpunkte mit aufgenommen, die aus dem skizzierten Rahmen herausfallen, d.h. deren Verständnis auf einen ergänzenden Museumsbesuch angewiesen ist. Es handelt sich um die eiszeitliche Jagdstation Salzgitter-Lebenstedt und den Fundort der Schöninger Speere.
Anmerkung 2: Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Mit "Nach-Forschen" ist hier keinesfalls eine grabende, schürfende oder sonstwie eingreifende Tätigkeit an und bei den Zeugnissen gemeint. Ein solches Tun ist gesetzlich verboten. Neben dieser juristischen Komponente steht aber auch die Feststellung, dass unsachgemäße Grabung immer einen gewaltigen Schaden verursacht, der bis zum wissenschaftlichen Totalverlust reichen kann.
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