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Ortsnamen
Siedlungsgeschichte. Die Anfänge unserer Dörfer

 

Seitenhinweis:

Kulturgeschichte: Tabelle

Es erscheint ganz selbstverständlich, dass sich Menschen fragen, was wohl der Name ihres eigenen Wohnortes zu bedeuten hat. So findet sich denn auch in jeder Dorfchronik eine entsprechende Passage, die den Ortsnamen hinsichtlich seiner Wortbestandteile ausdeutet. Wenn sich das "Bestimmungswort", in der Regel der erste Namensbestandteil, zumeist einer über den Einzelfall hinausreichenden Analyse entzieht, so lassen sich doch für das "Grundwort" allgemeinere Aussagen treffen. Tatsächlich ist ja auffällig, dass sich Ortsnamensbildungen mit gleichen Grundwörtern, etwa -rode oder -büttel, zu größeren Gruppen zusammenschließen, die auch in ihrer landschaftlichen Verteilung gewisse Gemeinsamkeiten zeigen. Dies ist der Ansatzpunkt für eine übergreifende Chronologie, die versucht, eine zeitliche Schichtung von Ortsnamen bzw. Ortsgründungen herauszuarbeiten.

Eine solche zeitliche Schichtung von Ortsnamen für die Region Braunschweig wird im folgenden in tabellarischer Form vorgestellt. Neben Aussagen über die Art der Gruppenbildung (Namensbezirke, Lage im Naturraum, Gestaltmerkmale) wird auch eine historisch-chronologische Einordnung mitgeteilt. Diese Aussagen beruhen auf neueren Forschungsergebnissen, die im einzelnen der gedruckten Literatur zu entnehmen sind (Literaturhinweise).

Auf eine sachliche Begrenzung der hier gebotenen Darstellung muss noch hingewiesen werden: es sind keineswegs alle Grundwortbildungen aufgeführt. Wichtig war zunächst einmal, die ältesten und größten Gruppen der primär agrarischen Siedlungen herauszugreifen. Beleg für eine jüngere Entwicklungsstufe bilden dann die Namen auf -burg, die sich jedoch gleichsam von selbst erklären. Anders verhält es sich bei denjenigen Ortsnamen, die einen Zusammenhang mit Handel und Markt aufweisen oder aufweisen können (-wiek, -markt, -stadt). Diese Fälle, die nicht sehr häufig sind, bedürfen dann doch einer gesonderten Würdigung - denn letztlich sind in diesen Orten die Keimzellen einer "neuartigen" städtischen Welt zu erkennen.


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Tabellarische DarstellungNach unten

ErläuterungenNach unten

LiteraturNach unten

   
 

 
Ortsnamen nach Grundworten, chronologisch
Für die mittelalterliche Gründungsphase von Dörfern bis zum Beginn der Wüstungsperiode im 14. Jahrhundert

3 Punkte zur dringenden Beachtung für die eigene Anwendung der Übersicht:

  • Die Darstellung bezieht sich nur auf die Region Braunschweig.
  • Zur Beurteilung einer konkreten Namensform (d.h. des "Grundwortes") muss die älteste Wortüberlieferung herangezogen werden.
  • Um zu einer abgesicherten Einschätzung zu gelangen, müssen weitere Faktoren, wie etwa Lage des Ortes innerhalb der Landschaft, Naturausstattung, Beziehung zu vorhandenen und aufgegebenen Nachbarsiedlungen u.a.m. abgeglichen werden.

Die Zusammenstellung ist leichter erfassbar, wenn sie von unten nach oben gelesen wird.
(?) bedeutet, dass die Datierung auf weitere Forschungsergebnisse angewiesen ist.
w., s., sö.  =  westlich, südlich, südöstlich usw.



Rundlingsdörfer
keine Namenskonsequenz, z.T. -au, -berg, und andere, z.T. wendisch (slawisch) klingende Namen
Beispiele: Scheppau, Rieseberg, Rotenkamp, Wendezelle

  • Verbreitung: in zwei Siedlungsinseln bei Wendeburg und am Rieseberg; im Vorsfelder Gebiet; in der Altmark
  • Dorf- und Flurmerkmale: Höfe hufeisenförmig oder im Halbrund um Platz oder kurzen Straßenabschnitt, Sackgasse. Einzige Zufahrt zeigt zum Ackerland. Dorf am Rande einer Niederung; von den Höfen Wiesenstreifen radial nach außen
  • Entstehungszeit: nach 1150 (landesherrliche Kolonisation, offenbar z.T. mit wendischen Kriegsgefangenen)


Waldhufendörfer
-hagen und auch andere Namen

  • Verbreitung: vor allem im Weser-Leine-Bergland
  • Dorf- und Flurmerkmale: Flur aus breiten Besitzstreifen (bis über 100 m breit), meistens mit Anschluss an den Hof, meistens Straße als Siedlungsleitlinie. Die Besitzstreifen ziehen sich den Hang hinauf in Richtung Wald
  • Entstehungszeit: ab etwa 1100 (aus gleichzeitigen Quellenbelegen zu den Marschhufen gefolgert)


"Filialgründungen"
Klein ...
Beispiele: Klein Denkte, Klein Vahlberg (jeweils neben einem Ort, der dann als "Groß" bezeichnet wurde)

  • Verbreitung: disparat; erstaunlicherweise auch in zentralen Bereichen der Lössbörde
  • Dorf- und Flurmerkmale: die "Klein"-Orte zeigen im Gegensatz zu den "Groß"-Orten ein regelhafteres Grundrissbild
  • Entstehungszeit: 10. Jahrhundert (nach archäologischen Befunden aus zwei Ausgrabungen)


-büttel
Beispiele: Rötgesbüttel, Rolfsbüttel, Wolfenbüttel

  • Verbreitung: in großer Häufung im Raum zwischen Braunschweig und Gifhorn ("Namensbezirk"), südlichster Ausläufer ist Wolfenbüttel
  • Dorf- und Flurmerkmale: Alter Dorfkern zumeist klein, offenbar unregelmäßig, aber auffallend gleichmäßige Streifenflur im Bereich des Altackerlandes
  • Entstehungszeit: 10. Jh. ("grundherrliche Rodungs-Kolonisation auf Königsgut")


-ingerode
Beispiele: Harlingerode, Benzingerode

  • Verbreitung: nur in einem begrenzten Bereich am nördlichen Harzrand
  • Entstehungszeit: etwa 950 - 1050


-rode
Beispiele: Gliesmarode, Volkmarode, Erkerode

  • Verbreitung: etliche in der direkten Umgebung Braunschweigs, sonst oft am Rand heute noch bestehender Wälder
  • Entstehungszeit: einige recht sicher noch vor 850 (abzuleiten aus Quellenbelegen)


-dorf (z.T. mit Sachbezeichnungen, z.T. mit Personennamen gebildet; Altersschichtung?)
-beck bzw. -beke bzw. -ke
Beispiele: Heiligendorf, Volkmarsdorf, Sisbeck, Barmke

  • Verbreitung: Häufung im "Hasenwinkel" und im "Holzland" nw. und n. von Helmstedt
  • Entstehungszeit: 2. Hälfte 8. Jh. bis Anfang 9. Jh. (wobei u.a. dem Ortsnamen Heiligendorf anzeigende Bedeutung zugemessen wird)


-hausen bzw. -husen (z.T. Namenspaare Oldendorf / Holthusen)
Beispiele: Riddagshausen, Erzhausen, Hahausen

  • Verbreitung: besondere Häufung im Weser-Leine-Bergland
  • Entstehungszeit: 2. Hälfte 8. Jh., wahrscheinlich nicht mehr im 9. Jh. (karolingische Gründungen)


-sen

  • Keine zeitliche Einordnung möglich, da unsicher, ob es sich um Ableitungen aus -husen oder -heim handelt


-feld, -felde
Beispiele: Bortfeld, Vorsfelde, Oebisfelde

  • Verbreitung: punktuelles Auftreten, besonders an Altstraßen
  • Entstehungszeit: wohl vor 800 (karolingische Gründungen; wahrscheinlich Aufsichtsorte, z.B. Flussübergänge, Forsten)


-heim
Beispiele: Ohrum (urspr. Orhaim u.ä.), Evessen (Hebesheim), Adersheim, Gandersheim

  • Verbreitung: zerstreut innerhalb der Lössbörden mit kleineren Gruppenbildungen, n. davon nur sehr vereinzelt
  • Dorf- und Flurmerkmale: gute Böden, Andeutungen von Regelhaftigkeit im Ortsgrundriss (Hauptstraße, Stichstraßen)
  • Entstehungszeit: erstes und zweites Drittel 8. Jahrhundert (?)


-stedt / ö. der Oker lockeres Verteilungsbild; w. der Oker mit einer gewissen Konzentration sw. von Braunschweig
-leben / Hauptverbreitungsgebiet weiter ö. und sö.; dieses reicht bis an den Elm heran
-ingen bzw. -lingen / weiträumige Streuung; w. der Oker ein kleiner "Namensbezirk"
-mar / vereinzelt
Beispiele: Schöppenstedt, Ampleben, Schöningen, Wittmar

  • Verbreitung: - siehe oben -
  • Dorf- und Flurmerkmale: gute bis sehr gute Böden
  • Entstehungszeit: 7. Jh. (?), wobei sich eine Zweiteilung zwischen -leben und -stedt (jünger) sowie -mar und -ingen (älter) andeutet


Die älteste Schicht der Dorfgründungen
-ithi und "endungslose Wortbildungen"
Beispiele: Gittelde (urspr. Gelithi), Broistedt (Broscethe!), Sickte (Kikthi), Thiede (Tihide), Rhüden (Riudun)

  • Verbreitung: relativ verstreut; Häufung an der oberen Fuhse sw. von Braunschweig
  • Dorf- und Flurmerkmale: idR. sehr gute Böden, im ältesten Dorfkern meist irreguläre Anlage
  • Entstehungszeit: im 6. oder frühen 7. Jh. (?)


Vorher, wahrscheinlich als Ergebnis der Völkerwanderungszeit:
Streu- und Kleinsiedlungen




 

 
Erläuterungen

Es sei gleich vorweg gesagt, dass die angegebene tabellarische Zusammenstellung mit etlichen altüberkommenen Vorstellungen bricht; sie orientiert sich an den jüngsten Forschungsergebnissen. Das wichtigste Resultat: eine ununterbrochene Siedlungsfolge von der späten römischen Kaiserzeit bis zu den Dörfern des Mittelalters wird heute für die Region Braunschweig weitgehend ausgeschlossen. Unsere Dörfer sind mithin nicht so alt, wie oft unterstellt wird. Aber wir wollen uns im folgenden den Fragen der Ortsnamensforschung doch zunächst einmal vorsichtig nähern und einige Grundvoraussetzungen klären.

Ortsnamen werden zumeist durch zwei Bestandteile gebildet: in der Regel liegt ein Grundwort vor, etwa -rode, -hausen oder -dorf, und dieses wird durch ein Bestimmungswort näher definiert, was zu den Bildungen Volkma(r)-rode, Sievers-hausen, Heiligen-dorf führen kann (Beispiele aus der Region Braunschweig). Die Zusammenstellung zu Gruppen beruht auf der Beobachtung, dass diese Grundwort-Verwendungen ihre Konjunktur haben, mithin als "Modeerscheinungen" aufzufassen sind, denen - für einen bestimmten Raum - ein zeitlicher Anfang und ein zeitliches Ende der Benutzung zuzumessen ist.

Wer sich mit den Ortsnamen beschäftigt, hat für die Analyse immer die ältesten bekannten Namensformen zu nehmen, besonders wichtig die erste schriftliche Erwähnung. Denn es kann bei der heutigen Form durchaus eine Wortverschleifung, ein Wortwandel oder auch eine nachträglichen Umbenennung vorliegen. Gelegentlich stellt sich bei der Betrachtung der ältesten Namensform eine kleine Überraschung heraus.

Dabei ist zugleich dem Irrtum vorbeugen, dass mit dieser (ersten) schrifthistorischen Angabe die Gründung des Ortes gemeint ist - das ist nur äußerst selten der Fall. Zumeist handelt es sich um eine eher zufällige Überlieferung, etwa bei Landschenkungen oder auch als Notiz in Besitzverzeichnissen von Klöstern. Der Ortsname wird dabei zur Identifikation des gemeinten Ortes genannt, wobei möglicherweise die Siedlung zu diesem Zeitpunkt schon Jahrhunderte bestand.

Das grundlegende Problem ist folgendes: Man hat es bei den Ortsgründungen fast immer mit Vorgängen zu tun, für die keinerlei Schriftquellen existieren. Die ortsbezogene schriftliche Überlieferung beginnt in Niedersachsen erst für die Jahre 747/748 mit der Erwähnung von Schöningen und Ohrum (dieses südl. von Wolfenbüttel an der Oker), die in den erzählenden fränkischen Geschichtsquellen genannt werden. Aber in der historischen Unsicherheit liegt zugleich ein hoher Reiz: Es ist der Versuch, in eine ansonsten "dunkle" Zeit zurückzublicken und dabei zu Kenntnissen zu gelangen, die durch keine andere Quelle vermittelt werden können. Viele Ortsnamen reichen als mündlich überliefertes Element weit in die schriftlose Zeit zurück.

Zugleich ist damit die Begründung gegeben, warum sich seit mehr als einem Jahrhundert verschiedene Wissenschaftsdisziplinen mit der Frage nach dem Alter der Ortsnamen (und damit auch dem Alter der Siedlungen) beschäftigen. In der Vergangenheit ist diese Forschung vor allem von der Germanistik und Volkskunde dominiert worden. Dabei wurden - aus heutiger Sicht recht vorschnell - Verknüpfungen mit Volksgruppen oder Stämmen hergestellt, auf die angeblich bestimmte Worttypen zurückzuführen sind. So wurden etwa die Bildungen mit dem Grundwort -büttel, die einerseits an der Unterelbe vorkommen, andererseits in einem eng umgrenzten Gebiet nördlich von Braunschweig auftreten, auf eine Wanderung einer sächsischen Volksgruppe zurückgeführt. Inzwischen ist diese Deutung vollständig verworfen. Ähnliche Fälle von vorschnellen Deutungen finden sich in der älteren Literatur in großer Zahl.

Die heutige Forschung stützt sich auf ein breites Spektrum von Erkenntniswegen. Beteiligt sind Archäologie und Quellenkunde, Kirchen- und Kulturgeschichte, Germanistik und vor allem die historische Geographie mit unterschiedlichen Teildisziplinen (Naturraum-, Flur- und Siedlungsanalyse, Altstraßenforschung). Auch naturwissenschaftliche Fächer, etwa die Bodenkunde, tragen ihren Teil zu den Ergebnissen bei. Neben diesem interdisziplinären Vorgehen wird stets der regionale Aspekt betont: was in einem Teilgebiet Deutschlands durchaus gelten kann, etwa die frühe Verwendung der Namensbildung mit -heim, muss in einer anderen Landschaft keineswegs in gleicher Weise zutreffen.

Eine stimmige Deutung von Namensgruppen ist zudem auf die Rekonstruktion des Besiedlungsganges einer Landschaft angewiesen. Dabei werden Altersschichten herausgearbeitet, aus denen die allmähliche Aufsiedlung durch eine anwachsende mittelalterliche Bevölkerung deutlich wird. Um ein Beispiel zu geben: Bei genauerer Betrachtung der -rode-Orte unserer Region zeigt sich, dass diese stets auf ärmeren Böden und häufig auch am Rande heute noch bestehender Waldgebiete zu finden sind. Es handelt sich also um eine vergleichsweise "junge Schicht" von Dorfgründungen, nachdem die besten Ackerböden bereits vergeben waren. Und so wundert es auch nicht, dass etliche dieser Orte in der spätmittelalterlichen Wüstungsperiode aufgegeben wurden und heute nur aus Schriftquellen bekannt sind; die Wüstungsforschung kann in vielen Fällen auch die ehemalige Ortslage recht genau bestimmen.

In diesem Zusammenhang ist auf die Vielzahl an untergegangenen Dörfer hinzuweisen ("Wüstungen", hauptsächlich differenziert nach Ortswüstung und Flurwüstung). Der Anteil von Ortswüstungen, bezogen auf die Gesamtzahl aller bekannten Siedlungen eines Gebietes, schwankt nach den historischen und räumlichen Gegebenheiten. Man kann aber fast durchweg von mindestens einem Drittel ausgehen, in einigen Gegenden ist sogar mehr als die Hälfte der Siedlungen aufgegeben worden. - Bei der Rekonstruktion des Siedlungsganges einer Landschaft müssen diese Wüstungen natürlich mit einbezogen werden.

Abschließend wäre noch zur Vorsicht im Umgang mit den überlieferten Siedlungsformen (Ortsgrundriss, Flurformen) zu mahnen: die ältesten kartografischen Darstellungen, aus denen solch detaillierten Angaben zu entnehmen sind, reichen nur in wenigen Ausnahmefällen über das 18. Jahrhundert zurück. Es muss deshalb sehr sorgfältig geprüft werden, welche Siedlungselemente überhaupt geeignet sind, uns Auskunft über die Gründungsvorgänge eines Dorfes zu geben, denn diese kann zum Zeitpunkt der ersten genauen Grundrissaufnahme vielleicht 800, 1000 oder mehr Jahre zurückliegen.


 

 
Literaturhinweise

Meibeyer 1997
Wolfgang Meibeyer, Die mittelalterlichen Dörfer und ihre Anfänge, in: Führer zu archäologischen Denkmälern in Deutschland, Band 34: Das Braunschweiger Land, Redaktion W.-D. Steinmetz, Stuttgart 1997, S.144-158

Meibeyer 2000
Wolfgang Meibeyer, Die Anfänge der Siedlungen, in: H.-R. Jarck und G. Schildt (Hgg.), Die braunschweigische Landesgeschichte. Jahrtausendrückblick einer Region, Braunschweig 2000, S.267-300

Beide Titel mit weiteren Literaturangaben.


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Impressum  
http://www.region-braunschweig.de/ortsnamen.html, Stand: 22. Oktober 2003