Normalerweise verschwinden archäologische Funde und die zugehörigen Befundbeschreibungen nach Abschluss der Geländearbeiten im Museum, d.h. meistens im Archiv. Im Fall Remlingen hat man einen anderen Weg eingeschlagen. Eine Teilrekonstruktion der Grabanlage ist jetzt knapp 2 Kilometer vom Ausgrabungsort entfernt zu besichtigen. Damit bleibt immerhin die Nähe zur ursprünglichen Landschaftssituation erhalten. Aufs Ganze gesehen beleuchten die Forschungsergebnisse von Remlingen die Grabgebräuche einer Kultur, die mittlerweile immer deutlicher hervortritt. Sie ist auch deswegen in ihrer Bedeutung verkannt worden, weil annähernd gleichzeitig im Norden die sehr viel markanteren Großsteingräber entstanden, die schon aufgrund ihres besseren Erhaltungszustandes die Aufmerksamkeit auf sich gezogen haben.
Zunächst muss der seltsam anmutende Begriff Totenhütte erklärt werden. Die Rekonstruktion in Remlingen ergibt ein langgestrecktes, zeltförmiges Gebilde aus schräggestellten Holzbalken, das mit Bruchsteinen abgedeckt war; darüber eine Erdschicht mit Grassoden (Kammer 12 m lang und bis 3,4 m breit, Firsthöhe etwa 1,7 m). Diese "Hütte" diente als Grabanlage für eine größere Zahl von Personen, gleichsam wie eine Gruft, die nach und nach belegt wurde. Dass ein wiederbegehbarer Eingang vorhanden war, ist unzweifelhaft; wie dieser aber genau ausgesehen hat, konnte trotz der insgesamt sehr günstigen Befundlage nicht ermittelt werden. Ansonsten vermittelte die Ausgrabung von Remlingen eine Fülle von konstruktiven Details, die bisher nicht bekannt waren. Die Auffindung der Totenhütte, die oft auch mit dem etwas irreführenden Oberbegriff "Mauerkammergrab" bezeichnet wird, ist übrigens dem örtlichen Heimatpfleger zu danken, der nach dem Pflügen wiederholt ortsfremde Steine auf einem Ackerstück ausgemacht hatte. Die wissenschaftliche Grabung erfolgte gerade noch rechtzeitig, bevor die Steine, Scherben und Erdspuren durch die Feldbearbeitung gänzlich auseinandergerissen, die Überreste verteilt und die Spuren verwischt waren.
Um die wissenschaftliche Bedeutung des Fundes zu erläutern, ist etwas weiter auszuholen. Die Großsteingräber Norddeutschlands (Megalith-Gräber) sind ja weithin bekannt, die steinernen Zeugen finden sich zwischen Ems und Odermündung. Statistisch gesehen lassen sich einige Konzentrationen in diesem Raum feststellen, wobei im Formenschatz zwar nicht Einheitlichkeit, aber doch eine gewisse Zusammengehörigkeit deutlich wird. Dieser Großbezirk besitzt eine südliche Grenze, und diese verläuft durch das nördliche Harzvorland, etwa auf der Höhe von Braunschweig. Jenseits dieser Grenze, nach Süden zu, häufen sich steinerne Grabformen, die nur mehr wenig Gemeinsamkeiten mit dem nordischen Bezirk aufweisen (z.B. Bredelem). Der Typus "Totenhütte" gehört dann zu diesen südlichen Abwandlungen in den Grabanlagen, wobei der megalithische Gedanke nur noch in sehr abgeschwächter Form auftritt. Damit wird in Umrissen ein anderer Kulturkreis sichtbar ("Bernburger Kultur"), zu dessen Verständnis der Fund von Remlingen einiges beigetragen hat.
Totenhütten sind aufgrund ihrer Konstruktion in weit stärkerem Maße der Zerstörung ausgesetzt gewesen als die aus tonnenschweren Blöcken gesetzten Großsteingräber. Es ist deswegen als ein besonders glücklicher Zufall zu betrachten, dass neben der Remlinger Grabanlage (Ausgrabung 1997/98) jüngst eine weitere Totenhütte archäologisch untersucht werden konnte. Die ebenfalls sehr umfassend erhaltenen Befunde waren beim Bau der neuen Harzrandstraße B 6n nahe Benzingerode entdeckt worden (2002).
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